In 2011 I was asked to write about Chantal Akerman on the occasion of a retrospective of her work at the Vienna film festival for the monthly Austrian newspaper Malmoe.
The picture was taken on 23, Quai du Commerce in Brussels in 2011.
Dem Realismus zum Trotz
Mit einer Retrospektive würdigt die diesjährige Viennale das Werk der belgischen Filmemacherin Chantal Akerman.
Auf die Frage, ob er glaube dass ihre Filme irgendeinen Einfluss auf andere Filmemacher_innen gehabt habe, antwortete Jean-Marie Straub in einem Interview 1997, der einzige Film der ihm in den Sinn käme sei D‘Est (1993) von Chantal Akerman. Nur sie hätte Straub und Huillets Methode als Vorschlag verstanden und für ihre Arbeit anzunehmen gewusst.
In der Geschichte des Œuvres der belgischen Filmemacherin Chantal Akerman gibt es weitere Schlüsselfiguren, deren Blicke sie geschult haben und sie in ihren Filmen wie Lehrstücke exerzieren lässt. Die Kamerafrau und Filmemacherin Babette Mangolte gehört dazu. In der Dokumentation der Dreharbeiten zu Jeanne Dielman (1975) sieht man Akerman, gerade mal 24 Jahre alt, wie sie von Delphine Seyrig und Mangolte in die feministische Schule genommen wird. Sie lernt und schreibt fort.
Sie schreibt fort in einer kompromisslosen und beharrlichen Weise und über dieses Nachverfolgen und Fortschreiben entwickelt sich eine Idee, welche ästhetische Form ein feministisches Filmemachen annehmen könnte. In Jeanne Dielman ist es ein endlos scheinendes Aneignen von Alltagsgesten. Sie nimmt sich Zeit, um Handlungen in ihrer ganzen Länge zu zeigen. Die Zuschauerin schaut nichtmehr nur zu, sondern erfährt die Handlungen von morgens bis abends, von Anfang bis Ende. Eine eigene Art des Realismus, oder eine Form Zeit zu dokumentieren, die mitunter schwer auszuhalten ist. Der feministische Blick wird mit ihren Filmen zu einem teilhabenden, denn einem beobachtenden.
In ihren frühen Filmen kristallisiert sich auch die grundlegende Vereinzelung ihrer Figuren als wiederkehrendes Thema heraus. Von ihrem allerersten Film Saute ma Ville (1968) der sich in gewisser Weise in Je, Tu, Il, Elle (1974) als Introspektive fortschreibt. In beiden Filmen sieht man sie selbst, in beengenden Innenräumen, im ersten an einem Platz am Herd, den sie lieber durch Suizid entflieht, als dass sie sich einrichtet. Im zweiten weigert sie sich auch einzurichten, der Innenraum spröde mit einer am Boden liegenden Matratze möbliert und man sieht sie, wie sie an der Alltagsbewältigung scheitert, Zucker essend, manisch Briefe schreibend. Und wenn in News from Home (1977) die Off-Stimme Briefe der Mutter vorliest, während die Kamera mit einem isolierten Blick durch Manhattan fährt, so kann die Distanz und die Einsamkeit zwischen Absenderin und Adressatin nicht grösser sein.
Die Filmwissenschaftlerin Patricia White beschreibt diese Methode als eine Verweigerung einer vorhersehbaren Narration zugunsten eines noch nicht realisierten Potentials und formuliert dies als ein „Lesbian Minor Cinema.“ Und obwohl sich Akerman bislang nie in die Kategorie oder wie sie es selbst nannte „Ghettoisierung“ Lesbisches Kino einordnen hat lassen, ist ihre Bedeutung für eine Realität des lesbischen und feministischen Kinos zentral. Eben in ihrem Vermögen zugleich narrativ als auch dekonstruktiv einer Kohärenz gegenüber eine widersprüchliche filmische Grammatik zu erarbeiten und in eben dieser Widersprüchlichkeit eine eigene filmische, sehr poetische, narrative Struktur zu finden, artikuliert sich Sensibilität fuer die sie umgebende Realität und formiert sich in einer filmischen Arbeit, die neorealistische Ansätze hat, aber diese noch viel weiter treibt. Die Reproduktionsarbeit findet im und am Bild statt, in dem konkreten Begehren nach einer Narration, die so noch nicht erzählt worden ist und die allen patriarchalen Gefügen zu widersprechen vermag. So werden die Dinge in ihren Zusammenhängen wiedergegeben, eben durch das was sie trennt.
Doch Akerman ging es in der Nachfolge ihres feministischen Meisterinnenwerks Jeanne Dielman nicht nur um die Destruktion einer klassischen patriarchalen Erzählstruktur, sondern in ihren Filmen seit den 1980ern Jahren, auch um die Re-Inszenierung des narrativen Blicks, um den Versuch einer Verortung dieser vereinzelten Figur, die immer auf der Suche schien. So erschien 2000 – wenig verwunderlich – eine sachte und sensible Inszenierung von Der Gefangenen, eine im Bildraum und in den bürgerlichen Verhältnissen befangene Verfilmung des fünften Teils von Prousts Suche nach der verlorenen Zeit.
Dann wiederum verlässt sie den Kinoraum und wird zur Grenzgängerin. Grenzgängerin auch zwischen dokumentarischem und inszeniertem Bild. Sie findet, ähnlich wie vielleicht Harun Farocki oder Isaac Julien, im Ausstellungsraum den Zusammenhang in dem ihre Filme als Installationen Grenzen des kinematografischen Raumes ausloten. In L‘autre côte (2002) wird von Mexico aus auf die USA geblickt. Sie zeigt den Blick, derer die auf der anderen Seite der USA leben und von dort ihren Blick richten als ein Nachfahren eines Denken des Außens, das das Innen benötigt um eine Grenze zur anderen Seite zu ziehen. In L‘autre côte wird das Leben mit dieser Grenze inszeniert. Hier wird ihr politisches Potential konkret. Wenn es in dem feministischen Gefüge von Jeanne Dielman und Je, Tu, Il, Elle immer auch um das Selbst geht, dass sich nicht als identitäres zu verfestigen mag (und so auch als politisches Selbst auftritt), kommen in ihren installativen Arbeiten konkretere gesellschaftskritische Adressierungen hervor. Immer noch sich in einer dokumentarischen Inszenierung bewegend, auf der Suche, nach verlorenen Geschichten und entlang der Grenze zur Repräsentation, findet sie im Ausstellungsraum einen kritischen Raum. Dann wiederum – zurück im Innenraum – spricht sie in La Bas (2006) wieder mit einer autobiografischen Stimme. „I don‘t feel like I belong.“ sagt sie. Ihre Stimme spricht aus dem Interieur einer Wohnung, die Kamera wirft einen stets verstellten Blick nach aussen auf Tel Aviv und setzt sie in Beziehung zu Tel Aviv. In den kritischen Räumen ihrer Filme spricht sie immer mit sich selbst, von sich selbst aus und mit der Unfreiheit des Kamerablicks; widerspruechlich und realistisch zugleich.
Kerstin Schroedinger