Bewegte Bilder – bewegende Körper

Loie Fuller, ca. 1900

Loie Fuller, ca. 1900

erschienen in Bildpunkt 3/2015 – Imaginarios

In diesem Text möchte ich der Frage nachgehen, wie sich die Dominanz des Visuellen dekonstruieren ließe. Ich untersuche dahingehend die Materialeigenschaften wie auch die Produktionsbedingungen von analogem Film.

Im Film werden Körper in Bewegung mittels der Zeitebene mit mechanisierten Bewegtbildern verbunden; „solidarity and conflict between the movements of matter [das ist in dem Fall der Film], of the body and of consciousness on the basis of time“[1], auf der die Beziehung von Bewegungen basiert. Zeitbasiertheit ist also das Scharnier, an dem wir historische, vergangene Zeit und fortlaufende, vergehende Zeit als Gegenbewegungen benutzen können.

Der Herstellungsprozess unterliegt dem Rhythmus des Aufnahme- oder Abspielgerätes – Kamera oder Projektor – und dieser Rhythmus wird eben sichtbar (und hörbar) durch das Vibrieren der Projektion. Während das rhythmisierte Hervorbringen von Bildern in jeglicher Projektion von Film geschieht, ändert sich die Situation, wenn sich ein Körper vor der Kamera bewegt. Es kommt zur Bewegung des Filmstreifens in der Kamera eine weitere hinzu. Der Körper ist getragen von der Bewegung des Films, und dient aber auch als Träger ihrer Darstellbarkeit. In der Projektion wird er re-animiert. Diese Lebendigkeit ist allerdings eine fragile Angelegenheit, der bewegte Körper bewegt sich selbst immer an den Rändern der Sichtbarkeit. Wenn er sich etwa zu schnell bewegt, dann verschwindet er, da die fotochemische Emulsion zu langsam reagiert. Solch materielle Spuren von Bewegung im Film haben wir zu lesen gelernt. Wir sehen sie als Unschärfen und Streifen.

Als Produkt der Industrialisierung hat Film auch eine eigene Form entwickelt als historisches Dokument in die Geschichtsschreibung einzugreifen. Eben diese Streifen verweisen auf ein historisches Unterfangen als die Bilder laufen lernten. Gleichzeitig registriert das Zelluloid aber auch Bewegung und speichert diese. Dies geschieht erstmals zu dem Zeitpunkt, an dem die Bewegungen des menschlichen Körpers der Mechanisierung der Gesellschaft unterworfen wurden. Film nimmt dieses Moment auf und dokumentiert den Augenblick der Unterwerfung. In der Folge konstituiert sich dies, es schreibt sich in den Film ein, durch den Film fort. Dem automatisierten Blick der Kamera wird dabei eine Objektivität zugeschrieben, die Dinge genau so abzubilden, wie sie „tatsächlich“ passieren. Allerdings lässt sich dieser vermeintlich objektive Blick, der Realitäten mit hervorbringt, auch aneignen und statt ein Instrument für Wissenschaftlichkeit zu sein, die Wissenschaftlichkeit instrumentalisieren. Mit diesem Blick kann ich Unterschiede und Ähnlichkeiten wahrnehmen. Ich zähle Wiederholungen und Abweichungen. Dadurch kann ich das enge Band von Kino und Geschichte lösen. Ich kann dabei zusehen, wie Film seine Zustände wechselt. Ich spule zurück und sehe mir das ganze nochmal an. Ich sehe „images charged with movement“ [2], elektrifizierte Bewegungen. Was sehe ich beim zweiten Mal, das ich beim ersten Mal übersehen hatte?

Laura Mulvey gibt einer solchen Arbeit mit Archivmaterial eine politische Dimension, indem sie bemerkt, dass das Wiederlesen von Geschichte und die damit einhergehenden Verschiebung innerhalb des Zeitkontinuums bereits eine Strategie für politische Veränderung sein kann. „But the delay, the association with the frame, may also act as a ,conduit‘ to the film’s uncertain, unstable, materiality …“ Die Frage wie sich Geschichte eben materialisiert, ist damit sowieso bereits auch die Frage nach der Geschichte des Materials; „… torn between the stillness of the celluloid strip and the illusion of its movement, leading to further reflection on the representation of time, …“[3]

Die zeitliche Distanz von Speicherung und Reproduktion fällt in sich zusammen. Film wird so zu einem unmittelbaren Erzähler, oder gar zu einem Simultanübersetzer.

Fast synchron mit der Re-animierung wirft die Projektion das was bleibt von den Menschen auf uns zurück. Nach diesen Überresten zu fragen, scheint jedoch schon unweigerlich mit dem Problem der Repräsentation verbunden zu sein, da das „was bleibt von den Menschen“ ja nur eine Repräsentation ihrer sein kann.

Die Bewegungen, die der Film gespeichert hat, teilen sich uns mit, sie kommunizieren. Aber sie sagen unterschiedliche Dinge zu unterschiedlichen Begebenheiten. Nicht kohärent und nicht kontinuierlich verqueren sich die Bewegung der Körper und die Bewegung des Films und sie gehen ein Abhängigkeitsverhältnis ein. Die Bewegung des Körpers wird aufgrund ihrer Wiedergabe durch den Film verstanden. Das Verstehen wird dann im Gegenschuss maßgebend, oder es gibt den Takt an. Dadurch, dass Menschen sehen, wie sie sich im Film bewegen, bewegen sie sich so wie sie sich sehen. Die Abhängigkeit entsteht auch durch den automatisierten Ablauf der filmischen Apparatur. Dabei resoniert die Mechanisierung der Fließbänder in den Fabriken des Fordismus, deren Aufbau und nicht endende Produktionsstrom auf die Körper wirkt, die sich den Rhythmen der Maschinen unterwerfen müssen. Dies ist zumindest der Zustand um 1920, einige Jahre nachdem die Bilder das Laufen gelernt hatten.

Unfreiwillige Nebenprodukte dieser Produktionsketten, sind die Rhythmik und die Geräusche, und auch deren Abwesenheit, die dann in den Bildern sichtbar werden als tanzähnliche Bewegungen oder in Gesten, die auf Hörbares verweisen. Ich versuche, in den Bewegungen Widerständiges und Ungehorsames zu finden. In Karen Barads Konzept einer post-humanen Performativität legen Bewegungen die nichtrepräsentierten Bereiche der Geschichte frei, die sich ungefragt ins Gedächtnis eingeprägt haben. Im Verhältnis zu meiner Untersuchung zu Bewegung des Films und Bewegung im Film, kann das vielleicht darauf verweisen, „…, performativity is precisely a contestation of the excessive power granted to language to determine what is real.“[4] Und das Infrage stellen, das zu bestimmen was real ist, artikuliert sich in den Übergängen von einer Bewegung – des Films – zur nächsten – des Körpers.

 

[1] Maurizio Lazzarato, Machines to Crystallize Time: Bergson, in: Theory Culture & Society 2007; 24; 93–122, hier S. 93.

[2] Giorgio Agamben, Difference and Repetition: on Guy Debord’s Films, in Tom McDonough (ed.), Guy Debord and the Situationist International, Cambridge, Mass. 2002: MIT Press.

[3] Laura Mulvey, Death 24x a Second: Stillness and the Moving Image, London 2006: Reaktion Books.

[4] Karen Barad, Posthumanist Performativity. Toward an Understanding of How Matter Comes to Matter. In: Signs. Journal of Women in Culture and Society. Band 28, Nr. 3, Spring 2003, S. 801–831.